Dort angekommen, stiegen wir aus, klingelten, fuhren mit dem Aufzug hinauf in den achten Stock und wurden oben bereits an der Wohnungstür freudig in Empfang genommen. Schon im Flur duftete es ziemlich penetrant nach einer Mischung aus Rotkohl, Kümmel und Weihnachtsgebäck, dezent umrahmt von kleineren Schwaden orientalischen Tabaks. Der Bruder meines Begleiters empfing uns herzlich und führte uns in die gute Stube, wo sich halb Bagdad oder Istanbul tummelte. Greise und junge Männer auf Sesseln und Sofas, dazwischen und auf den Schößen überall Kinder. Mein Begleiter stellte mich jedem einzeln vor und ich musste mich bücken und strecken, bis ich die fröhliche Runde endlich geschafft hatte.
In der Küche tummelte sich ein knappes Dutzend Frauen und auch hier ein freudiges Halli und Hallo. Schwupps hatte ich einen Teller voller Gebäck in der Hand, wurde lachend wieder hinauskomplimentiert in die Stube, zum Sitzen genötigt und wenig später bekam ich eine süßduftende Tasse mit dampfendem Tee vor die Nase gesetzt.
"Essen und trinken!" ermutigte mich mein Begleiter und einige seiner Neffen und Nichten umgarnten mich neugierig.
Mein Begleiter suchte inzwischen die Geschenke für seine Familie zusammen und bereits nach einer Dreiviertelstunde verließen wir gestärkt und bei bester Laune die himmlische Hölle von Afghanistan.
Auf der Weiterfahrt fragte ich meinen Begleiter ein bisschen aus ohne dabei allzu unhöflich zu werden.
"Ich wusste gar nicht, dass auch Mohammedaner Weihnachten feiern", stellte ich fest, worauf sich mein Begleiter in einem Redeschwall ergoss.
"Wir nicht nur Muslime. Manche von uns Hindus, manche Orthodox, andere Sufis, einige Christen, andere Buddhisten, sogar Rastafari in meiner Verwandtschaft und ein paar Voodoo-Leute. Aber alle sehr, sehr religiös. Un Weihnachten is Weihnachten und ein Gott is ein Gott!"
Die Philosophie meines Begleiters war erfrischend und ich musste ein wenig in mich hineingrinsen.
"Wie heißen Sie eigentlich?" setzte ich das Gespräch nach einer Weile fort.
"Mein voller Name lautet Ismael Salomon Odysseus al Hafi Schulze."
"Schulze?" nun musste ich wirklich lachen, "ausgerechnet Sie mit all Ihrem exotischen Drumherum heißen Schulze!"
"Ja, Sie lachen, Sie froher Mensch, Sie glücklich, sehr schön! Heiße Schulze, weil mein Frau eine Deutsche und weil in Deutschland besser leben mit eine deutsche Name!"
Natürlich, hätte ich mir ja denken können!
"Nächste rechts", sagte mein Begleiter, den wir von nun an - nomen est omen - und der Einfachheit halber Odysseus nennen wollen.
"Nächste rechts?" fragte ich zurück, "aber Sie haben doch gesagt, dass Sie in der Beethovenstraße wohnen."
"Ich wohnen Beethovenstraße, richtig. Aber Bruder von meine Frau wohnen Geddestraße."
(Fortsetzung folgt...)
Aus: Stefan Grimm, Die Stadt in der Schachtel, Regia-Verlag Cottbus, 2004
Allen einen wunderschönen zweiten Advent!